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VU- im Vergleich zu PPM-Messungen
Wie wirkt sich der Unterschied von VU- und PPM - Messverfahren in der Praxis aus?
( English Version: VU measurements compared to PPM measurements)
Ja, wozu das jetzt noch? Ich habe die Pegelmessung nach dem VU-Standard schon immer für ziemlich unzuverlässig gehalten, also eher als eine billige bzw. amateurhafte Lösung. Aber das ist nicht der Grund für diesen Artikel. Es gab jetzt einen Anlass, der mich zunächst zu intensiveren Untersuchungen zu diesem Thema und dann zu diesem Artikel veranlasst hat:
Schon seit geraumer Zeit biete ich meine AMBMs (Analog Meter Bridge Modules) an, bei denen man die Pegelmessung sowohl dem VU- als auch dem PPM-Standard entsprechend einstellen kann. Niemand hatte irgendwelche Bemerkungen dazu gemacht. Vor kurzer Zeit habe ich eine Variante des AMBMs, das ALM77, entwickelt, das sich perfekt in die Tonbandgeräte B77 und PR99 der Fa. Revox einbauen lässt. Aber jetzt kommen Fragen und Wünsche, die VU-Anzeige "besser" zu machen, also so, wie man es von den Original-VU-Metern gewohnt ist. Ich kann das durchaus gut verstehen, daher möchte ich Überzeugungsarbeit leisten. Also möchte ich diese Fragen nicht nur mit einer persönlichen Einschätzung, sondern basierend auf Messungen und deren statistischer Auswertung qualifiziert beantworten können.
Ich muss hinzufügen, dass die VU-Anzeige vom AMBM und ALM77 in zwei Punkten nicht dem VU-Standard nach ANSI C 16.5 / IEC 268-17 und auch DIN IEC 60268-17 entspricht, aber das hat nach meiner Meinung nach einen guten Grund:
Insbesondere der 2. Punkt sorgt für Irritationen. Ich verstehe, dass man die gewohnte Skalierung vermisst, aber ich halte es aus zwei Gründen für besser so:
Diese Unzuverlässigkeit der VU-Messung wurde auch bei der Fa. Revox erkannt. Um das Problem etwas zu entschärfen, hat man zusätzlich zu den VU-Metern in der A700, B77 und PR99 eine LED zur Anzeige der Übersteuerung eingebaut. Sie zeigt an, wenn wirklich der Maximalpegel erreicht oder überschritten wurde. Immerhin.
In diesem Zusammenhang ist für PPM-Anzeigen auch eine Funktion sehr wichtig, die "Peak-Hold" genannt wird. Im Gegensatz zu deutlich trägeren VU-Anzeigen sind bei PPM die Spitzenwerte trotz der relativ großen Rückfallzeitkonstante doch nur kurze Zeit zu sehen. Sie sind schneller verschwunden, als man sie sicher erkennen kann. Mit Peak Hold wird ein Spitzenwert nach seinem Auftreten noch für einen kurzen Moment angezeigt, also "gehalten". So wird der tatsächliche, nach PPM-Standard gemessene Spitzenwert, deutlich erkennbar.
Ich hatte noch weitere Bedenken bezüglich der VU-Meter in einfachen, aber auch in hochwertigen Tonbandgeräten: Ich befürchtete, dass die nach VU-Standard geforderte Anstiegs- und Abfallzeit von 300 ms weit unterschritten würde, was eher zu einem geringeren Vorlauf führen sollte. Aber zumindest bei den Anzeigen, bei denen ich das kontrolliert habe, ist die Zeitkonstante mit ca. 200 - 250 ms zwar kleiner, aber nicht in dem Maße, wie ich befürchtet hatte.
Schlussendlich habe ich bei meinen Untersuchungen zumindest ein bisschen Frieden mit der VU-Messung gemacht. Ein bisschen deshalb, weil die Messfehler nicht ganz so schlimm und häufig waren, wie ich angenommen hatte. Nur in etwas weniger als der Hälfte aller Fälle wich der VU-Messwert mit mehr als ca. +/-1 dB weiter von dem zuverlässigeren PPM-Messwert ab, als ich geschätzt hatte. Gleichzeitig habe ich bei meinen Untersuchungen aber auch festgestellt, dass in vielen Fällen der Fehler auch deutlich höher, in seltenen Fällen auch sehr viel höher werden kann, als ich geschätzt hätte. Bei meinen Versuchen waren es in den Extremfällen -5 bis +6 dB.
Dennoch: Unter keinen Umständen liefert die VU-Messung erkennbar bessere Ergebnisse als die PPM-Messung.
Ziel war es, aus vielen Musik-Aufnahmen die Unterschiede der Maxima der beiden Messwerte (VU und PPM) zu ermitteln. Im Idealfall sollten beide gleich sein. Sie sollten also bei gleicher Pegel-Einstellung auch zu gleicher Aussteuerung führen.
Dabei kann man sofort ein großes, prinzipielles Problem bei der Aussteuerung jeglicher Signale erkennen: Nur wenn man in die Zukunft schauen kann, kann man bei Beginn der Aufnahme den korrekten Pegel einstellen. Bei Live-Aufnahmen kann man den Musikern sagen: "Spiel mal was Lautes", beim Aufnehmen einer Schallplatte könnte man theoretisch zuerst die ganze Platte laufen lassen und das Maximum suchen - aber wer macht das schon. Dieses Problem kann auch eine PPM-Messung nicht lösen.
Ich habe zur Auswertung ein Programm geschrieben, dass diese Messungen über komplette Musikstücke und über komplette Listen von Musikstücken nach den VU- und PPM-Standards durchführt und grafisch darstellt. Das sieht dann z. B. so aus:
Die rote Linie zeigt den PPM-Messwert, die blaue den VU-Messwert, aber ohne Lead. Ohne Lead nicht zuletzt auch deshalb, weil das erheblich übersichtlicher ist. Und auch, weil +6 dB Lead eher nur ein üblicher, aber kein standardisierter Wert ist. Idealerweise sollten die Maxima der VU-Messwerte ohne Lead bei der Hälfte der Maxima der PPM-Messwerte liegen. In diesem Bild ist das für die Maxima 1,0005 und 0,5011 = +6,006 dB weitgehend ideal der Fall, ein Lead von +6 dB wäre hier perfekt. Allerdings treten die Maxima nicht gleichzeitig, sondern bei ca. 35 bzw. 58 Sekunden auf.
Während der Messung wird dabei sowohl für VU als auch für PPM auch festgehalten, wie hoch die Maxima der beiden Messwerte sind. Diese Maximalwerte (und mehr) werden in eine Log-Datei für die spätere statistische Auswertung geschrieben.Mein Programm kann nur WAV-Dateien, also unkomprimierte Dateien, verarbeiten. Nun hatte ich glücklicherweise vor nicht allzu langer Zeit meine CD-Sammlung auf dem PC als WAV-Dateien gesichert, so dass sich dieses Material als Quelle anbot. Das bedeutet natürlich, dass es sich nur um die Arten von Musik handelt, die mir gefällt. Daher lassen sich die Versuchsergebnisse nicht ganz so einfach verallgemeinern. Für andere Musikstile würde die Statistik vermutlich mehr oder weniger anders aussehen. Wenn ich mich nicht irre, gibt es sogar eine Empfehlung, für welche Art von Musik oder Tonquelle welcher VU-Lead verwendet werden sollte.
Ich habe auch nur den linken der Stereokanäle ausgewertet.
Insgesamt habe ich damit knapp 2300 Musikstücke verarbeitet. Ganz grob: Unter der Annahme von +6 dB Lead wichen bei ungefähr der Hälfte der Musikstücke die Maxima der VU- und PPM-Anzeigen um weniger als +/-1 dB voneinander ab. Hier also die Statistik, die das Ziel meiner Untersuchungen war:
Zumindest bei meinen Quelldateien zeigt ein solches VU-Meter im Mittel also eher etwas zu wenig an. Der Lead dürfte ein bisschen größer als +6 dB sein, aber eher weniger als ein halbes dB.
Wie auch immer, es gibt zu oft nicht akzeptable Abweichungen von korrekteren Messungen.
→ Deswegen komme ich also zu dem Fazit, das ich in dem Vorwort schon vorweg genommen hatte.
Jetzt wird es für diejenigen, die mehr über die Technik wissen wollen, interessant.
Näher erklärt habe ich die Messverfahren in meinem AMBM-Artikel. Die Anzeige und Messverfahren sind in dem für die Revox-Tonbandgeräte gemachten ALM77 identisch mit dem AMBM. Außerdem möchte ich zum Thema VU-Meter noch drei Links mit viel mehr Hintergrundinformation - auch mit Kritik - geben: https://de.wikipedia.org/wiki/Vu-Meter, sowie https://13db.de/effekte/metering/vu-meter/ und von Rod Elliot: VU And PPM Audio Metering
Hier zumindest eine kurze Zusammenfassung der Messverfahren:
PPM ist eine Spitzenwertmessung. Gebe ich ein gleichgerichtetes 1&nbsSinussignalp;kHz von 2 Vss auf die Messeinrichtung, wird nicht 1 V erreicht, sondern etwas weniger, weilFür Sinussignale bedeutet das in einem weiten Frequenzbereich, dass die Ausgangsspannung im Mittel auf ca. 0,976 statt auf 1,000 V steigt. Wenn also 2 Vss zu einer Anzeige von 100% führen soll, wird ein Korrekturfaktor von 1/0,976 = 1,0246 benötigt.
VU ist eine Gleichrichtwertmessung. Der Gleichrichtwert eines Sinussignals ist 2/π * Spitzenspannung, also ungefähr 0,6366 * Spitzenspannung. Wenn also 2 Vss zu einer Anzeige von 100% führen soll, wird einen Korrekturfaktor von 1/0,6366 = 1,5071 benötigt.
(Für den Fall, dass jemand selber das System simulieren oder numerisch berechnen will: Dem Gleichrichter wird bei VU ein 2-poliger Tiefpass mit der Übertragungsfunktion UOUT = (1+0.1585*s +0.0095*s2)*3.14159/2 nachgeschaltet. (Die digitalen Koeffizienten für eine numerische Berechnung lassen sich daraus so ermitteln, wie ich es mit Converting Analog into Digital (IIR) Filters beschrieben habe.)
Dazu noch zwei mal zwei Grafiken, zuerst die analoge Simulation:
Hier ist der Verlauf der Anzeige zu sehen, wenn ein 1 kHz Sinussignal mit 2 Vss für eine Sekunde anliegt:
Der PPM-Wert erreicht schnell den Wert von 1 V, der VU-Wert erreicht nach 300 ms 90% und schwingt später normgerecht etwas über.
Beim Rücklauf dauert es 1,5 s, bis der PPM-Wert 10% erreicht, der Rücklauf des VU-Wertes entspricht seinem Anstieg.
Hier ist der PPM-Wert ab dem Beginn eines 1 kHz-Bursts von 10 ms Dauer mit höherer Zeitauflösung gezeigt:
Er
erreicht nach 10 ms 90% (blau). Wenn das Signal nach dem Burst 0 ist, fällt der PPM-Wert sofort ab (grün) im Gegensatz zum VU-Wert, der nach den ersten 10 ms noch bis ca. 45 mV steigt (rot) und erst danach wieder zu fallen beginnt, was hier aber nicht mehr sichtbar ist.
Während PPM 90% (-1 dB) Vollaussteuerung anzeigt, zeigt VU nur 4,5% (-27 dB) an. Ein heftiger Unterschied. Auch mit +6 dB Lead wird nur -21 dB angezeigt.
Jetzt noch einmal zur Kontrolle, dass auch die Software richtig rechnet:
und
Auch bei PPM-Messungen können Übersteuerungen entstehen, weil die Anstiegszeit nicht 0 ist, obwohl eine Anstiegszeit von 0 technisch kein Problem wäre. Warum hat man das dennoch so gemacht? Es ist wieder ein Kompromiss. Wenn man bei jedem kürzesten Puls erreichen wollte, dass die Vollaussteuerung nicht überschritten wird, müsste in der Praxis insgesamt geringer ausgesteuert werden. Das würde die Gesamtlautstärke senken und ginge zu Lasten des Dynamikbereichs. Allerdings würde es weitgehend unnötig sein, denn sehr kurze Übersteuerungen sind praktisch nicht hörbar. Also werden sie bei PPM-Messungen absichtlich ignoriert. Zumal einige Aufzeichnungs- und Übertragungsmedien bei leichter Übersteuerung "gnädig" reagieren, also z. B. nur mit einem leichten Anstieg des Klirrfaktors, aber nicht mit Clipping. FM-Übertragung, Schallplatten und Tonbandgeräte zählen dazu.
Nun gibt es auch Fälle, in denen auch ganz kurze Übersteuerungen nicht passieren sollen. Dafür ist das SPPM (Sample Peak Program Meter) gedacht. Insbesondere bei digitalen Signalen kann das interessant sein. Jedes Sample wird dabei ausgewertet, die Anstiegszeit ist 0. Mit meinem Programm habe ich die Sample Peaks auch erfasst. Das ist zwar nicht für den VU/PPM-Vergleich relevant, aber ich bekomme damit nur eine Aussage, wie die CDs bzw. deren Musikstücke ausgesteuert sind:
Anzahl | Peaks bis (%) | Peaks bis (dB) | Kommentar |
8 | 23,5% bis 25% | -12 dB | Alle 8 auf einer CD. Eher ein Fehler beim Mastering. |
21 | 25% bis 50% | -12 dB bis -6 dB | Überreichlich und vollkommen unnötig vorsichtig |
91 | 50% bis 70,7% | -6 dB bis -3 dB | Reichlich und unnötig vorsichtig |
~500 | 70,7% bis 91% | -3 dB bis -1 dB | Sehr vorsichtig |
~1200 | 91% bis 99,9% | -1 dB bis 0 dB | Ok bis ideal |
~600 | 100,0% | 0 dB | Entweder exakt voll ausgesteuert oder mit Clipping |
Es ist ja sicherlich auch interessant, wie es zu den extremen Abweichungen, die in der obigen Balkengrafik gezeigt sind, kommen kann. Dazu muss man die Messverfahren bzw. deren Standards kennen.
Bei den Standards werden Sinussignale vorausgesetzt. Was passiert aber z. B. bei Rechtecksignalen oder zumindest Signalen, die mehr oder weniger Rechtecksignalen ähneln? Ganz offensichtlich:
Der VU-Messwert erreicht bis zu 1,08 (steht in meiner Log-Datei). Darauf, das darzustellen, ist mein Programm nicht eingerichtet:
Eine gespreizte Ansicht zeigt den Signalverlauf im Maximum:
Auch der PPM-Wert überschreitet die 1,0 gegen Ende dieses hohen Pegels ab 2:48:525, denn das Original ist an der Stelle übersteuert. Der PPM-Wert wird dann nicht nur wie bei Sinussignalen in den ganz kurzen Spitzen, sondern über längere Zeit höher getrieben, wodurch der Messwert etwas höher wird, als er es bei Sinus werden könnte.
Zu zu niedrigen Messwerten kommt es, wenn das Signal kurze Spitzen enthält, die einerseits noch gut von der PPM-Zeitkonstante (90% in 10 ms) erfasst werden, andererseits aber zu kurz für die VU-Zeitkonstante (90% in 300 ms) ist. Und natürlich auch nur dann, wenn es keine anderen Situationen gibt, die günstiger für einen höheren VU-Wert sind. Bei dem folgenden Beispiel erreicht der VU-Wert nur max. ca. 0,23, der PPM-Wert aber max. 0,825. Das entspricht ca. 11 dB.
Selbst bei einem Lead von +6 dB werden 5 dB weniger als mit der realistischeren PPM-Messung angezeigt.
Und dazu der Signalverlauf, der diese für PPM gut, aber für VU schlecht erkennbaren Spitzenwerte enthält:
Diese beiden Beispiele sehen eher verheerend für VU-Messungen aus. Aber wie gesagt, es sind nur die beiden extremsten Beispiele von fast 2300 Musikstücken. Dennoch: Für professionelle Ansprüche ist VU absolut indiskutabel.
Letzte Aktualisierung: 19. November 2024 | Fragen? Anregungen? Schreiben Sie mir eine E-Mail! | Uwe Beis |